Leseprobe aus „Der Harfner und der Geschichtenerzähler“, 3. Band:

        Die Halle schien bei weitem länger als breit zu sein. Jetzt, im Licht zweier Fackeln, erkannten sie die Wände zu ihren Seiten. Etwas Weißes lag rechts von ihnen auf dem Boden, und als Margon genauer hinsah, bemerkte er mit Schrecken, dass es Knochen waren, die zu einem Skelett gehörten. Die Schatten in den leeren Augenhöhlen eines Trollschädels bewegten sich im Lichtschein hin und her und schienen ihn auf eine grässliche Art mit Leben zu erfüllen. Der Harfner wandte seinen Kopf ab, doch das Bild wollte sich nicht von seinem Geist zurückdrängen lassen.

        Es herrschte Stille, bis auf die leisen Geräusche ihrer Schritte auf dem steinernen Boden, Stille wie in einer Gruft, die sie alle umgab wie Nebel und nur darauf zu warten schien, dass man sie mit einem gewaltigen Schlag zerstreuen würde.

        Plötzlich vernahm Thaja ein leises Rascheln über ihr. Sie hob ihren Kopf und musste sich ihre Hand auf den Mund pressen, um nicht vor Grauen loszuschreien. Über ihr hingen seltsame Bündel von der Decke herab, dicht an dicht, die aussahen wie mannsgroße Fledermäuse. Die verschrumpelten Flughäute lagen dicht zusammengefaltet an ihren ledrigen Körpern, und die Augen in ihren tierähnlichen Fratzen waren fest geschlossen.

        Thaja packte Margon hart am Arm. Er blickte sie verwundert an und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, doch sie presste ihre Hand auf seine Lippen und deutete wortlos über sich.

        Der Harfner hob seinen Kopf und hörte sein Blut in den Ohren rauschen. Mit einem Mal schienen ihm seine Beine den Dienst zu versagen. Er starrte auf die Ansammlung der Kreaturen, die dicht über seinen Köpfen hingen. Derras war Margons Innehalten nicht entgangen. Auch er sah nach oben. Ein heftiges Keuchen entfuhr ihm. Thaja wirbelte herum und stieß ihn an, ihr Gesicht verzerrt vor Entsetzen und Ärger über die Unachtsamkeit des Fallenstellers. Nun hatten Orrit und Cendarwyn ebenfalls bemerkt, worunter sie standen. Die ganze Gruppe war ins Stocken geraten.

        Die Augen der Crone waren weit aufgerissen.

        „Noduns Dämonen!“ entfuhr es ihr.

        „Bei allen Geistern!“ flüsterte Derras. Der Schweiß lief in Strömen seine dicken Backen hinab, die wie eingefettet glänzten. „Wie in der alten Geschichte!“

        Cendarwyn rempelte ihn an und deutete heftig mit ihrem Finger auf den Mund. Auch ihr stand die Angst vor den entsetzlichen Kreaturen an der Decke ins Gesicht geschrieben.

        Der Fallensteller hatte sie gar nicht richtig wahrgenommen.

        „Wie sollen wir hier nur rauskommen, wie sollen wir hier nur rauskommen...“ murmelte er heiser.

        Da ertönte mit einem Mal ein schriller Schrei.

        „Moshgoth! Fangt sie, moshgoth!“

        Ein wildes Lachen hallte von den steinernen Wänden wider. Es war der Troll, der am Eingang zur Halle stand und wie verrückt hin und her hüpfte, um die hängenden Kreaturen aufzuscheuchen.

        „Ein Opfer für tote trowls, aay, aay!“

        Im selben Moment öffnete der erste der Dämonen seine Augen. Seine riesigen Flügel falteten sich mit einem lauten Flappen auseinander. Der Troll drehte sich um und rannte immer noch wie ein Wahnsinniger lachend den Gang zurück, den er die Gruppe geführt hatte. Zwei weißglühende, runde Punkte starrten auf Margon und die anderen hinunter.

        „Lauft!“ schrie der Harfner. Er riss Derras mit sich nach vorne, der beinahe seinen Bogen fallen ließ.

        „Lauft! Zur Tür!“

        Ein hohes Kreischen war die Antwort. Der Dämon stieß sein Maul auf, flatterte wild mit seinen Flügeln und löste sich mit seinen Klauen von der Decke. Andere neben ihm waren erwacht und wandten ihnen ihre sengenden Blicke zu.

        Die fünf rannten verzweifelt der Tür am anderen Ende der Halle entgegen. Cendarwyns Mund war verzerrt, sie blickte nach vorne, nur nach vorne. Hinter ihnen war alles in Bewegung geraten, die geflügelten Kreaturen hatten sich von der Decke gelöst und rauschten kreischend mit hart durch die Luft peitschenden Schwingen auf sie zu.

        Die Stille in der Halle hatte sich binnen weniger Momente in wilden Lärm verwandelt, der sich in Margons Ohren bohrte wie Hunderte von spitzen Nägeln, die eine Schiefertafel hinabfuhren.